Zum 100. Geburtstag von Dr. Yaakov Zur

Verleihung der Ehrendoktorwürde an Dr. Yaakov Zur am 8. November 1998 in der Aula der Universität Rostock – hier der Gewürdigte (links) mit dem damaligen Rektor Prof. Dr. Günther Wildenhain (Foto: Archiv Universität Rostock).

Vor den Nationalsozialisten nach Palästina geflohen, Mutter und Schwester in Auschwitz verloren, tief im jüdischen Glauben verankert, überzeugter Kibbuznik und beim Aufbau des jungen Staates Israel aktiv – eine solche Biografie des 20. Jahrhunderts führt keinesfalls selbstverständlich zu einem Leben, das der Erforschung gewaltsam zerstörter Kulturwelten, der Verständigung und dem Dialog mit dem Geburtsland gewidmet ist. Und doch zeichnet genau dies den Ehrendoktor der Universität Rostock und Rostocker Ehrenbürger Yaakov Zur aus, der am 21. April 2024 100 Jahre alt geworden wäre.

Als Alfred Jacques Zuckermann 1924 in Rostock geboren wurde, war seine Kindheit in der Hansestadt von zunehmender antisemitischer Bedrückung und nationalsozialistischer Verfolgung geprägt. 1939 gelang es seinen zwei Brüdern und ihm, nach Palästina auszuwandern und sich eine neue Existenz aufzubauen. Auch sein Vater konnte noch nach England fliehen, aber seine Mutter Perle Zuckermann (1897-1942) und seine Schwester Ruth (1931-1942) scheiterten an der komplizierten Auswanderung und am Ausbruch des Weltkriegs, wurden im Juli 1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ein Denkstein in der Altschmiedestraße 26 erinnert heute an sie wie an so viele Rostocker Juden, die die nationalsozialistische Verfolgung nicht überlebt haben.

Die Person Yaakov Zur, wie er sich nach seiner Auswanderung nannte, ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. In Palästina verbrachte er seine weitere Jugend in der Kibbuzbewegung, wurde Jugendleiter, betreute überlebende Kinder aus Konzentrationslagern, bildete sich selbst weiter, beteiligte sich 1946 an der Gründung eines religiösen Kibbuz‘ und nahm am Unabhängigkeitskrieg teil. Sein weiterer Bildungsweg war langsam, aber stetig: 1961 konnte er ein Geschichtsstudium an der Hebräischen Universität Jerusalem beginnen und mit einem Lehrerdiplom zum Abschluss bringen; nach mehreren Jahren in der Schule begann er nebenbei mit einer Promotion zur deutsch-jüdischen Orthodoxie und ihrem Verhältnis zum Zionismus, die er 1982 abschloss. Neben seiner Verantwortung im Schulwesen des Kibbuz begann eine andauernde und stets auch internationale Forschungs- und Lehrtätigkeit, die einen Schwerpunkt auf die Geschichte der jüdischen Neoorthodoxie insbesondere auch in Deutschland legte.

Noch vor der politischen Wende von 1989/90 entstand der Kontakt zu Frank Schröder, der damals Archivar im Rostocker Stadtarchiv war und sich der Erforschung des Schicksals der früheren jüdischen Bürgerinnen und Bürger der Stadt verschrieben hatte. 1987 kehrte Zur erstmals wieder in seinen Geburtsort zurück, nicht zuletzt um im Archiv Genaueres über das Schicksal der getöteten Familienmitglieder zu erfahren. Gleichzeitig konnte er in Rostock Vorträge halten und die Position Israels und seiner Bürgerinnen und Bürger darlegen, ein Novum und nur denkbar in der Spätzeit der DDR. 1988, zum 50. Jahrestag des Novemberpogroms, lud ihn die Stadt Rostock offiziell ein. Der Kontakt zu Rostock intensivierte sich weiter, und aus den Aktivitäten ging nach dem Ende der DDR jene Initiative hervor, aus der 1991 das nachmalig von Schröder geleitete Max-Samuel-Haus erwuchs, das Zur mitbegründete. Bis heute leistet die Einrichtung in der Stadt wie in der Region einen zentralen Beitrag zur Vermittlung von Wissen über jüdische Geschichte und Kultur.

Anlässlich eines Aufenthaltes in der Hansestadt verlieh ihm die Philosophische Fakultät der Universität Rostock am 8. November 1998 die Ehrendoktorwürde – also fast auf den Tag genau sechzig Jahre nachdem seine Familie im Zuge der Novemberpogrome brutale Gewalt erfahren musste. Gewürdigt wurde, wie die Promotionsurkunde hervorhebt, ausdrücklich sein „wissenschaftliches, pädagogisches und politisches Lebenswerk“. Geehrt wurden damit nicht nur die außerordentlichen wissenschaftlichen Leistungen auf den Gebieten der Erforschung der deutsch-jüdischen Geschichte, sondern namentlich auch seine unermüdlichen Anstrengungen zur Verständigung, genauer zur „Ingangsetzung des deutsch-jüdischen Dialogs und der Erziehung der nachfolgenden Generationen im Geiste von Demokratie, Toleranz und gegenseitiger Achtung“.

Yaakov Zur starb 2013 im Kibbuz Ein Hanaziv im Norden Israels, eben jenem, den er Jahrzehnte zuvor mit aufgebaut hatte.


Veranstaltungshinweis:
Anlässlich des 100. Geburtstages zeigt das Max-Samuel-Haus den Film „Ich kann Dich nicht mehr Heimat nennen“ (1990). Im Film begleitet die Regisseurin Róza Berger-Fiedler Yaakov Zur bei seinen ersten Besuchen in Rostock und seiner Wiederannäherung an seine Geburtsstadt. Im Anschluss wird es ein Gespräch mit der anwesenden Regisseurin geben.

Ort: Max-Samuel-Haus, Schillerplatz 10, 18055 Rostock

Zeit: Mo., 29. April 2024 um 18.30 Uhr

Eintritt: 7 € (freier Eintritt bis 18 Jahre, für Student*innen mit AStA-Kulturticket und Mitglieder des Vereins der Freunde und Förderer des Max-Samuel-Hauses e.V.)

 

Kontakt:
Prof. Dr. Oliver Plessow
Universität Rostock
Philosophische Fakultät
Historisches Institut/Didaktik der Geschichte
Tel.: + 49 (0) 381 498 2716
oliver.plessowuni-rostockde


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