Rostocker Physiker erzeugen künstliche Quasikristalle aus Laserlicht

Konzept eines künstlichen Quasikristalls mittels Laserlicht. Laserlicht breitet sich in optischen Glasfasern aus, deren spezielle Anordnung die Lichtpfade so miteinander verwebt, dass das Laserlicht die Bewegung von Elektronen in einem Quasikristall nachahmt. (Bild: Sebastian Weidemann)
Konzept eines künstlichen Quasikristalls mittels Laserlicht. Laserlicht breitet sich in optischen Glasfasern aus, deren spezielle Anordnung die Lichtpfade so miteinander verwebt, dass das Laserlicht die Bewegung von Elektronen in einem Quasikristall nachahmt. (Bild: Sebastian Weidemann)

Phasenübergänge, an denen sich die Eigenschaften eines Materials sprunghaft ändern, spielen in der Natur eine zentrale Rolle. Ihr wohl bekanntester Vertreter ist im Winter beim Blick aus dem Fenster zu beobachten: Kleinste Abweichungen der Temperatur von 0° Celsius entscheiden, ob Wasser flüssig oder in seiner festen Form als Eis vorliegt. Weitaus seltener sind Phasenübergänge, bei denen sich zwei Eigenschaften gleichzeitig ändern: Kühlt man so genannte Supraleiter, zum Beispiel Legierungen aus Barium und Kupferoxid, bis nahe an den absoluten Nullpunkt von -273°C ab, verschwindet nicht nur ihr elektrischer Widerstand, es ändern sich sprungartig auch ihre magnetischen Eigenschaften. Noch ungewöhnlicher sind Phasenübergänge, die drei Eigenschaften eines Materials einbeziehen. Dem Team um Professor Alexander Szameit gelang es nun, einen solchen Dreifach-Phasenübergang mit Hilfe von Licht experimentell nachzuweisen, und zwar bei Materialeigenschaften, von denen man bisher annahm, dass sie unabhängig voneinander sind.

„Wir haben beobachtet, dass sich in speziellen künstlichen Festkörpern, sogenannten Quasikristallen, drei ihrer grundlegenden Eigenschaften gleichzeitig sprunghaft ändern“, sagt Szameit. Quasikristalle, deren Entdeckung im Jahr 2011 mit dem Nobelpreis geehrt wurde, sind eine besondere Laune der Natur: Da sie weder ein konventioneller Festkörper noch eine echte Flüssigkeit sind, nehmen diese Stoffe eine besondere Stellung in der Physik ein. Die einzigen natürlichen Vertreter dieser Materialklasse – Ikosaedrit und Decagonit – sind buchstäblich nicht von dieser Welt, sondern wurden bisher nur in Meteoriten im fernen Osten Russlands gefunden. Irdische Quasikristalle hingegen werden künstlich im Labor erzeugt; so auch im vorliegenden Experiment. „Dazu haben wir Lichtpfade in kilometerlangen optischen Fasern so mit einander verwoben, dass sie die Bewegung von Elektronen in einem Quasikristall nachahmen“, erklärt Doktorand Sebastian Weidemann, der zusammen mit seinem Kollegen Dr. Mark Kremer das Experiment entworfen und die Messungen durchgeführt hat. „Als wir die Lichtausbreitung dann untersuchten, machten wir die verblüffende Entdeckung des Dreifach-Phasenübergangs – in der Topologie und der Leitfähigkeit des Quasikristalls sowie im Energieaustausch mit der Umgebung“, fügt er hinzu.

Die Topologie eines Materials gibt Auskunft über sein Bestreben, Rand- und Wirbelströme zu bilden; ein Konzept, welches 2016 mit dem Nobelpreis prämiert wurde. Die auf komplexe Weise von der inneren Struktur des Materials beeinflusste Leitfähigkeit erklärt die Fähigkeit eines Festkörpers, Ströme überhaupt erst fließen zu lassen – auch diese Entdeckung wurde, im Jahr 1977, mit einem Nobelpreis gewürdigt. Die dritte Eigenschaft, der Energieaustausch mit der Umgebung, lässt sich mit Hilfe der sogenannten PT-Symmetrie beschreiben, welche erst 1998 in die Physik Einzug hielt. Diese drei Materialeigenschaften standen trotz ihrer grundlegenden Bedeutung bisher weitestgehend ohne Bezug nebeneinander. „Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass sie möglicherweise drei Aspekte eines noch zu entdeckenden Zusammenhangs darstellen“, erzählt Szameit fasziniert. „Die Entdeckung des Dreifach-Phasenübergangs und der damit einhergehenden potenziellen Vernetzung von Topologie, Leitfähigkeit und Energieaustausch mit der Umgebung ist somit ein Durchbruch in der Grundlagenforschung zur Ausbreitung von Wellen – egal ob Licht, Schall oder Elektronen.“

Die Ergebnisse dieser Arbeit, die nun im Fachjournal Nature erschienen sind, wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Europäischen Union und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung gefördert.

 

Originalveröffentlichung: Weidemann, S., Kremer, M., Longhi, S. & Szameit, A. Topological triple phase transition in non-Hermitian Floquet quasicrystals. Nature 601, 354-359 (2022).
https://doi.org/10.1038/s41586-021-04253-0 
https://www.nature.com/articles/s41586-021-04253-0

 

Kontakt:
Prof. Dr. Alexander Szameit
Universität Rostock
Institut für Physik
Experimentelle Festkörperoptik
Tel.: +49 381 498-6790
alexander.szameituni-rostockde
Homepage: https://www.optics.physik.uni-rostock.de


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