Bei der Entwicklung von Implantaten für eine schnelle und komplette Heilung bei kritischen Knochendefekten ist Forscherinnen und Forschern des SFB 1270 „ELAINE“ ein wichtiger Teilerfolg gelungen. Mit einem speziell entwickelten Prüfstand kann die mechanische Zuverlässigkeit von Kieferimplantaten untersucht werden. Dabei ist es möglich, sowohl natürliche als auch 3D-gedruckte Kieferknochen einzusetzen, sodass nicht zwingend auf tierische Modelle zurückgegriffen werden muss. „Wichtig ist, dass wir mit unserem Prüfstand Implantate unter Bedingungen testen, die den natürlichen Kau- und Belastungskräften im Kiefer möglichst genau entsprechen“, sagt der Ingenieur Yunis Knorre, der maßgeblich die Prüfstandentwicklung vorangetrieben hat.
Hintergrund für die Rostocker Grundlagenforschung sind Knochendefekte, bei denen die körpereigene Regenerationsfähigkeit limitiert ist. Als Modell für ihre Untersuchungen wurden große Defekte im Bereich des Unterkiefers ausgewählt. Diese können durch die Entfernung von Tumoren, Unfällen oder nach schweren Entzündungen entstehen. Die Idee im SFB 1270 „ELAINE“ ist, dass diese großräumigen Defekte mit neuartigen Implantaten überbrückt werden, die mit Hilfe von elektrischen Impulsen das Knochenwachstum fördern und die Funktion des Unterkiefers wiederherstellen.
Testobjekte sind 3D-gedruckte Schweineunterkiefer. Der Knochendefekt wird mit einem lasttragenden, ebenfalls 3D-gedruckten Implantat aus einer Titan-Aluminium-Vanadium-Legierung überbrückt, berichtet Dr.-Ing. Wiebke Radlof. In diesem Implantat werden künftig knochenbildende Zellen integriert sein, die durch elektrische Stimulation zur Teilung und damit zum Knochenwachstum angeregt werden sollen. „Die Sicherstellung der mechanischen Zuverlässigkeit dieser Implantate ist das Kernstück unserer Forschung, während die elektrische Stimulation sowie die Untersuchungen zum Zellwachstum von anderen Teilprojekten im SFB abgedeckt werden“, sagt Radlof.
Die Herausforderung für die experimentellen Untersuchungen bestand darin, einen Prüfaufbau zu entwickeln, der den Kiefer ähnlich belastet wie der reale Kauvorgang. Es galt zunächst zu verstehen, wie die wirklichen, durch Muskeln und Sehnen erzeugten Beanspruchungen im Kiefer verteilt sind. Diese „physiologischen“ Belastungen bildeten die Referenz für die Konstruktion der Prüfvorrichtung. Im finalen Aufbau wird der Kiefer an einer definierten Stelle durch einen Druckstempel belastet.
„Wir können gleichzeitig die Verformungen optisch mittels digitaler Bildkorrelation messen“, sagt Knorre. Dazu werden mit einer Airbrush-Pistole sogenannte Speckle-Muster aufgesprüht, um möglichst viele kleine Kontrastpunkte sichtbar machen zu können. Mit zwei Kameras, die pro Sekunde jeweils ein Bild anfertigen, können die Bewegungen der Punkte nachverfolgt werden. „Unser Ziel ist es, ein Implantat zu entwickeln, das den physiologischen Belastungen standhält“, sagt Radlof. Doch wie bei jeder anderen Materialtestung gehe es auch im Medizinbereich darum, auszutesten, unter welcher Belastung der künstliche Kiefer oder das Implantat bricht und wo genau dann die Schwachstellen liegen, betont Laborleiter Dr.-Ing. Christopher Benz.
Im Idealfall sind künftig die experimentellen Untersuchungen in vitro so gut, dass in-vivo-Experimente nicht mehr gebraucht werden. Von einer Umsetzung in den klinischen Alltag sei diese spezielle Grundlagenforschung noch weit entfernt.
Hintergrund Sonderforschungsbereich 1270 „ELAINE“
Am 2017 gestarteten SFB 1270 „ELAINE“, der sich aktuell in der zweiten Förderperiode befindet, sind neben der Universität und der Universitätsmedizin Rostock die Universitäten Greifswald, Hannover, und Erlangen sowie die Universitätsmedizin Mainz und die Hochschule Wismar beteiligt. Ein Team aus mehr als 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Fakultäten arbeitet am Einsatz von elektrisch aktiven Implantaten. Diese Implantate sollen unter anderem bei der Regeneration von Knochen- und Knorpelgewebe eingesetzt werden und Zellen zum Wachstum und zur Differenzierung anregen. Im SFB 1270 „ELAINE“ wird zudem die Tiefe Hirnstimulation zur Therapie etwa der Parkinson-Erkrankung oder Dystonie erforscht, um eine funktionelle Arbeit des Nervensystems zu ermöglichen.
Der SFB gilt als eines der Leuchtturmprojekte in der Wissenschaftslandschaft von Mecklenburg-Vorpommern. Die Forschungen laufen nach Angaben der Sprecherin von „ELAINE“, der Elektrotechnikerin Prof. Dr. Ursula van Rienen, sehr erfolgreich. Die Förderung seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beträgt in der ersten und zweiten Förderperiode rund 24,1 Millionen Euro inklusive der Programmpauschale. Ende November wird die DFG über eine dritte und zugleich letzte Förderperiode des SFB „ELAINE“, die 2026 beginnen soll, entscheiden.
(https://www.elaine.uni-rostock.de)
Kontakt:
Dr. Paula Friedrichs
Gesamtkoordination SFB 1270 „ELAINE“
Universität Rostock
Institut für Allgemeine Elektrotechnik
Tel.: +49 381 498-7082
paula.friedrichs2uni-rostockde


