Im Jahr 2023 wurden in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamts knapp 274.000 Hüftendoprothesen implantiert. Für die meisten Patientinnen und Patienten bedeutet diese Operation einen enormen Zugewinn an Lebensqualität, da sie wieder schmerzfreie Bewegungen ermöglicht. Allerdings währt die wiedergewonnene Lebensqualität bei einigen Betroffenen nicht dauerhaft: Das Implantat kann sich lockern und sogenannte Revisionen notwendig machen, d.h. die Entfernung der alten und die Implantation einer neuen Endoprothese. Der dauerhafte Halt von Hüftendoprothesen gehört daher zu den großen Herausforderungen in der klinischen Praxis.
Der Sonderforschungsbereich (SFB) 1270 „ELektrisch Aktive ImplaNtatE – ELAINE“ an der Universität Rostock widmet sich unter anderem diesem Problem. So wollen Forscherinnen und Forscher aus den Bereichen Physik, Biologie, Werkstoffwissenschaften, Elektrotechnik und der Medizin das Wachstum von knochenbildenden Zellen rund um die Endoprothese mit Hilfe von elektrisch aktiven Implantaten fördern und so den Halt der Prothesen im Knochen verbessern.
Prof. Dr.-Ing. Sascha Spors vom Lehrstuhl Signaltheorie und Digitale Signalverarbeitung der Universität Rostock hat sich mit seinem Team darüber hinaus auf den Weg gemacht, mit Hilfe von KI dem Phänomen der frühzeitigen Implantatlockerung auf die Spur zu kommen. „Zusätzlich zur Lockerungsdiagnostik wollen wir die Gesundheit des Knochens um das Implantat herum bestimmen.“
Bei der Beobachtung von möglichen Lockerungen spielt ein in einem Hohlraum der Endoprothese angebrachtes Kügelchen eine entscheidende Rolle. „Wenn das Implantat fest im Knochen verankert ist und das Kügelchen von außen in Bewegung gebracht wird, stößt es an die metallische Innenwand.“ Dieses Anschlagen erzeugt Vibrationen im Implantat und Gewebe und diese können gemessen werden.
Der Fokus liegt nun auf der Mustererkennung dieser Signale. „Es werden etwa 100.000 Datensätze benötigt, um der KI beizubringen, wie die Vibrationen in einem nicht gelockerten Zustand aussehen“, so Spors weiter. „Alles, was anders aussieht bzw. klingt, deutet auf Lockerungen hin“, schildert er die Vorgehensweise. Die Frage für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist nun, wie sich das „Anders klingen“ in einem allgemeingültigen Algorithmus abbilden lässt. Es gehe also darum, ein Muster bei den Signalen zu erkennen.
Die Ursprungsidee sei gewesen, einen Beschleunigungssensor zur Messung der Vibrationen von außen auf die Haut zu bringen und dann mit einem Magneten die Kugel im Innern des Implantats zum Schwingen anzuregen. Durch diese Schwingungen sollten Vibrationen im Gewebe erzeugt werden, die auf Veränderungen im Implantatumfeld hinweisen. Allerdings können solche Messungen durch Veränderungen des Körpergewichts, wie Gewichtszunahme oder -abnahme, beeinflusst werden.
Um diese potenziellen Störungen zu minimieren, verfolgen die Forscherinnen und Forscher nun einen weiterentwickelten Ansatz: Sie versuchen, die Beschleunigungssensoren direkt auf der Endoprothese zu integrieren. „So würden Messstörungen umgangen, die im Laufe der Zeit beispielsweise durch Änderungen des Körpergewichts entstehen können“, sagte Spors. Damit hätte das elektrisch aktive Implantat noch eine zusätzliche Funktion: Neben der gezielten Abgabe von Strom zur Anregung von Zellen werde die Überwachung des Einheilungsprozesses des Implantats möglich.
Das Verfahren, das dabei angewendet wird, nennt sich Elektroimpedanztomographie. Diese Messmethode ermöglicht die grafische Darstellung von Änderungen der elektrischen Impedanz in Geweben. „Verschiedene Gewebe und Knochen weisen unterschiedliche Impedanzen auf“, erklärt Spors. Mit dieser Methode könnten in Kombination mit der KI Abweichungen von der Norm gut bestimmt werden. Spors betont jedoch, dass sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Gebiet der Grundlagenforschung bewegen. Viele grundlegende Zusammenhänge müssten noch im Detail erforscht werden.
Hintergrund Sonderforschungsbereich 1270 ELAINE
Am 2017 gestarteten Sonderforschungsbereich 1270 ELAINE, der sich aktuell in der zweiten Förderperiode befindet, sind neben der Universität und der Universitätsmedizin Rostock die Universitäten Greifswald, Leipzig, Mainz und Erlangen sowie die Hochschule Wismar beteiligt. Ein Team aus mehr als 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Fakultäten arbeitet am Einsatz von elektrisch aktiven Implantaten. Diese Implantate sollen unter anderem bei der Regeneration von Knochen- und Knorpelgewebe eingesetzt werden und Zellen zum Wachstum und zur Differenzierung anregen. Im SFB 1270 ELAINE wird zudem die Tiefe Hirnstimulation zur Therapie etwa der Parkinson-Erkrankung oder Dystonie erforscht.
Der SFB gilt als eines der Leuchtturmprojekte in der Wissenschaftslandschaft von Mecklenburg-Vorpommern. Die Forschungen laufen nach Angaben der Sprecherin von ELAINE, der Elektrotechnikerin Prof. Dr. Ursula van Rienen, sehr erfolgreich. Die Förderung seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beträgt in der ersten und zweiten Förderperiode rund 24,1 Millionen Euro inklusive der Programmpauschale. Im Jahr 2026 soll die dritte und damit letzte Förderperiode beginnen.
(https://www.elaine.uni-rostock.de)
Kontakt:
Dr. Paula Friedrichs
Gesamtkoordination SFB 1270 „ELAINE“
Universität Rostock
Institut für Allgemeine Elektrotechnik
Tel.: +49 381 498-7082
E-Mail: paula.friedrichs2uni-rostockde