Gehen mit der Energiewende bald die Lichter aus?

Wissenschaftler des Forschungsverbundes Netz-Stabil besichtigen das Abfall- und Bioenergietechnikum der Agrarwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock. Unter anderem wird hier untersucht, wie Bioabfälle im Rahmen der Sektorkopplung zur Netzstabilität beitragen können (Copyright: Universität Rostock / Martin Rach).

Mit der Energiewende wurde das Ende der fossil-nuklearen Stromerzeugung eingeläutet. Im Fokus steht dabei die Dekarbonisierung der Energieversorgung, mit der durch die Verminderung der CO2-Treibhausgasemmissionen die – maßgeblich vom Menschen verursachte – globale Erwärmung begrenzt werden soll. Die konventionellen großen Kraftwerke erzeugen aber nicht nur den von den Verbrauchern benötigten Strom, sie sind auch für die Netzstabilität verantwortlich. Damit erfüllen sie eine wichtige Funktion im Energienetz.
Genau hier setzt der Forschungsverbund Netz-Stabil mit seiner Forschung an. Ein Team aus 18 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Rostock, der Hochschule Stralsund und der Universität Greifswald arbeitet vier Jahre bis März 2021 gemeinsam im Forschungsprojekt, welches im Rahmen des Exzellenzforschungsprogramms des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit ca. 5 Mio. Euro aus dem Europäischen Sozialfonds gefördert wird.

Projektkoordinator Professor Hans-Günter Eckel vom Lehrstuhl für Leistungselektronik und Elektrische Antriebe an der Universität Rostock formuliert die Aufgabenstellung: „Netzstabilität bedeutet für den Verbraucher vor allem Versorgungssicherheit. Verschiedene Disziplinen müssen eng zusammenarbeiten, um mit erneuerbaren Energien die gleiche Zuverlässigkeit der elektrischen Energieversorgung zu gewährleisten, wie wir sie von konventionellen Kraftwerken gewohnt sind.“
„Elektrische Energie lasse sich nicht als Vorrat aufbewahren wie Wasser in einem Speicher“, stellt Magdalena Gierschner, Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Professor Eckel, fest. „Die große Schwierigkeit in der Energieversorgung besteht darin, dass elektrische Energie immer genau dann erzeugt werden muss, wenn der Verbraucher sie benötigt. Denn das Energienetz selbst kann keine elektrische Energie speichern, sondern nur transportieren.“

Am Institut arbeitet auch Paul Gerdun. Er führt aus, wie es den großen konventionellen Kraftwerken gelingt, dem Spiel wechselnder Energienachfrage zu begegnen: „ Konventionelle Kraftwerke besitzen gleich drei Formen von Speichern mit denen sie Lastschwankungen im Netz ausgleichen. Der erste wird als Momentanreserve bezeichnet und ist die rotierende Masse der ans Netz angeschlossenen Synchrongeneratoren sowie die der mit ihnen verbundenen Turbinen. Bei einer Lasterhöhung geben sie sofort Energie an das Netz ab und verlieren im Gegenzug mechanische Rotationsenergie, sie werden abgebremst. Bei einer Lastverringerung verhält es sich genau umgekehrt. Dies ist ein natürliches Verhalten der Generatoren und bedarf keiner Beeinflussung von außen. Da deren Drehzahl allerdings in einem engen Bereich gehalten werden muss, wird diese stetige Drehzahländerung nur kurzzeitig zugelassen. Sobald es eine Drehzahländerung  gibt, wird der Dampfzustrom über ein Regelventil so angepasst, dass die Drehzahl wieder konstant gehalten wird. Denn erhitzter Wasserdampf treibt mit hohem Druck die Turbinen der Generatoren an. Der zweite Speicher, der Wasserdampfkessel, liefert hierfür den nötigen Dampf. Zum Schluss bleibt noch die Kohlehalde als Speicher, über  deren Kohle-Zufuhr die Erzeugung des Wasserdampfes so angepasst werden kann, dass die Drehzahl wieder ihren Sollwert erreicht. Dies ist dann der dritte Energiespeicher im System.“ Diese Steuerung sei nur langfristig möglich, wenn vorher bekannt ist, wann mehr oder weniger Elektroenergie benötigt werde.
„Um die Klimaschutzziele zu erreichen sind erneuerbare Energien beispielsweise aus Wind- und Solarkraft unabdingbar“, weiß Magdalene Gierschner. „Allerdings“, so die Diplom-Ingenieurin weiter, „gefährden diese die Stabilität des Netzes, wenn man sie weiterhin, wie in den vergangenen Jahren üblich, so anschließt, dass sie blind Energie „ernten“ und jegliche Laständerungen von den Speichern der wenigen verbleibenden großen Kraftwerke ausgeglichen werden müssen.“

Erneuerbare Energien werden meistens über Umrichter an das Netz angeschlossen. Die typische Umrichterregelung passt die Frequenz und Phase des erzeugten Stroms an die Netzspannung an. „Dank des Umrichters haben wir jedoch viel mehr Freiheitsgrade. Wenn man möchte, dass erneuerbare Energien ein ähnliches netzdienliches Verhalten wie die Schwungmassen der konventionellen Kraftwerke zeigen, dann ist dies nur über eine clevere Regelung möglich“, ist sie sich  sicher.
Dr. Sidney Gierschner, ein weiterer Mitarbeiter im Team von Professor Eckel ergänzt: „Auch Windenergieanlagen besitzen rotierende Massen, nämlich den Generator und die Flügel. Es ist möglich, diese kurzfristig zu beschleunigen oder abzubremsen. Dadurch entstehen aber Rückwirkungen auf die ganze Anlage.“ Ob diese langfristig zu Beschädigungen führen, wird aktuell am Lehrstuhl für Windenergietechnik der Uni Rostock von Stefan Ganzel untersucht.

Ein weiteres großes Problem besteht darin, dass die Einspeisung von Solar- und Windenergie wetterbedingt stark schwankt. Mit ihrem fortschreitenden Ausbau werde der Bedarf an längerfristigen Ausgleichsmöglichkeiten zwischen Angebot und Nachfrage weiter steigen. Eine Schlüsselrolle wird dabei die Sektorenkopplung spielen. Unter dem Begriff Sektorkopplung wird die Vernetzung aller energiebereitstellenden Sektoren mit allen energieverbrauchenden Sektoren beschrieben. Dies schließt nicht nur die elektrische Energie ein, sondern auch die Nutzung, Speicherung und Umwandlung von Wärme und chemisch gebundener Energie.
Im Projekt Netzstabil werden dazu verschiedene Ansätze untersucht. Beispielsweise wird erforscht, wie Biomasseanlagen die Schwankungen im regenerativ erzeugten Strom ausgleichen können. Das ist zum Beispiel dann relevant, wenn kein Wind oder Sonne zur Verfügung stehen. Wenn beispielsweise weniger regenerativer Strom bereit steht, als benötigt wird, kann über eine mögliche Sektorenkopplung der Bedarf kompensiert werden. Wie das mit dem vorhandenen und künftigen Anlagenbestand im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern zu optimieren ist, wird im Projektteam unter anderem von Dr. Andrea Schüch und Jan Sprafke untersucht. Beide arbeiten an der Professur Abfall- und Stoffstromwirtschaft der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Rostock.

Die Forschungsergebnisse des Verbundprojektes Netz-Stabil liefern einen wichtigen Beitrag um auch künftig unter den Bedingungen wachsender regenerativer Energieerzeugung, eine stabile Versorgung zu gewährleisten.

Kontakt:
Magdalena Gierschner
Institut für Elektrische Energietechnik
Universität Rostock
Tel.: +49 381 498-7134
magdalena.gierschneruni-rostockde
https://www.netz-stabil.uni-rostock.de


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