Sichtbarkeit und Vielfalt: Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität

2017 lieferte die Studie „Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland” der Universität Rostock erstmals eine umfassende Bestandsaufnahme zur Sichtbarkeit von Frauen und Männern im deutschen TV und Film. Die Ergebnisse zeigten eine drastische Schieflage: Frauen kamen deutlich seltener vor als Männer, traten meist in klischeehaften Rollen und Kontexten auf, kamen nur selten als Expertinnen zu Wort und verschwanden nach dem 30. Lebensjahr sukzessive vom Bildschirm.

Durchgeführt wurde die aktuelle unabhängige Studie von Professorin Elizabeth Prommer vom Institut für Medienforschung der Universität Rostock. Gefördert wurde sie von den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDF, den privaten Sendern RTL Deutschland und ProSiebenSat.1 sowie der Film- und Medienstiftung NRW, dem Medienboard Berlin-Brandenburg, der Filmförderungsanstalt FFA, dem FilmFernsehFonds Bayern und der MaLisa Stiftung.

Mittels einer repräsentativen Stichprobe wurden die Programme von 17 TV-Vollprogrammsendern sowie von vier Kinderfernsehsendern für 2020 ausgewertet. Insgesamt wurden rund 25.000 Protagonisten und Protagonistinnen sowie Hauptakteurinnen und -akteure aus knapp 3.000 Fernseh-Sendungen und fast 8.000 Protagonisten und Protagonistinnen sowie Hauptakteurinnen und -akteure aus rund 3.800 Kinder-TV-Produktionen analysiert. Die Ergebnisse beziehen sich bei den TV-Vollprogrammen auf deutsche Produktionen sowie Produktionen mit deutscher Beteiligung aus den Genres der fiktionalen und non-fiktionalen Unterhaltung sowie Information. Für den Bereich Kinderfernsehen wurden Produktionen aus allen Ländern einbezogen.

In der Stichprobe konnten nicht-binäre und Menschen mit anderen Geschlechtsidentitäten so gut wie nicht identifiziert werden. Die Ergebnisse werden deshalb im Folgenden nur nach Männern und Frauen ausgewiesen.

„Fassen wir die Ergebnisse zusammen, so bildet unser Fernsehprogramm bisher noch nicht die Vielfalt der in Deutschland lebenden Personen ab. Es wird eine überwiegend weiße und männliche Welt gezeigt. Aber: in einzelnen Bereichen und Funktionen sind Fortschritte in Bezug auf Diversität zu verzeichnen. So sind in den erfundenen, also fiktionalen Geschichten des Fernsehens annährend gleich viele Frauen und Männer zu sehen. Auch der Anteil an Protagonist*innen, die als Menschen mit Migrationshintergrund, Schwarze oder Persons of Colour lesbar waren, ist hier am höchsten. Vor allem in den neueren Produktionen, die 2020 produziert oder uraufgeführt wurden, sehen wir diese positive Entwicklung zu mehr Geschlechterparität und Vielfalt. Trotzdem gibt es noch „große Baustellen“ in Bezug auf die Geschlechtergerechtigkeit, beispielsweise in der Showmoderation oder bei den Expertinnen“, so Professorin Elizabeth Prommer.

Zentrale Ergebnisse der Studie:

Die Geschlechterverteilung ist weiterhin unausgewogen:

Auf eine Frau kommen im deutschen Fernsehen nach wie vor rund zwei Männer. Insgesamt liegt die Geschlechterverteilung über alle TV-Vollprogramme und Genres hinweg bei 66 zu 34 Prozent.

Es gibt jedoch positive Entwicklungen: 

  • In den fiktionalen Produktionen, die im Jahr 2020 hergestellt wurden, ist das Geschlechterverhältnis nahezu ausgewogen (53% Protagonisten und 47% Protagonistinnen).
  • Im Vergleich zu 2016 wird der Altersgap in den fiktionalen TV-Produktionen insgesamt kleiner. Vor allem in der Altersgruppe zwischen 50 und 59 ist ein Anstieg des Frauenanteils zu verzeichnen.
  • In den Informationsformaten erklären Männer nicht mehr allein die Welt. Moderation und journalistische Funktionen nähern sich der Parität an. Als „Erklärstimmen“ sind Männer mit 72 Prozent jedoch nach wie vor deutlich in der Überzahl.

Handlungsbedarf besteht noch in folgenden Feldern:

  • Männer kommen immer noch am häufigsten als Experten zu Wort – auch in Berufsfeldern, in denen überwiegend Frauen arbeiten. Insgesamt sind 74 Prozent der Expertinnen und Experten in TV-Informationsformaten männlich. Das Geschlechterverhältnis liegt damit bei 1:3. Durch die hohen Fallzahlen der Expertinnen und Experten fällt diese Ungleichheit besonders ins Gewicht.
  • Es gibt eine große Ungleichheit in der Moderation von (Quiz-)Shows – Männer führen hier mit 87 Prozent fast allein durchs Programm. Auch in den Genres Comedy/Late Night/Satire und Tiersendungen sind Männer mit 77 Prozent deutlich überrepräsentiert.
  • Zwar ist das Kinderfernsehen insgesamt noch immer unausgewogen, aber in aktuellen Produktionen des Jahres 2020 werden mehr Protagonistinnen und weibliche Figuren sichtbar. Bei den deutschen Produktionen des Jahres 2020 ist der Anteil Protagonistinnen auf 44 Prozent gestiegen (plus 10 Prozent).
  • Weibliche Fantasie- und Tier-Figuren sind nach wie vor deutlich unterrepräsentiert: 82 Prozent der Tierfiguren sind männlich, bei pflanzlichen Figuren und Objekten sind es 95 und bei Robotern und Maschinen 77 Prozent.

Neu analysierte Dimensionen von Vielfalt:

Behinderung, sexuelle Orientierung, Migrationshintergrund und Zuschreibungen der ethnischen Herkunft sind nicht so vielfältig sichtbar, wie in der Bevölkerung verteilt:

  • In den fiktionalen TV-Produktionen sind nur rund 2 Prozent der Protagonistinnen und Protogonisten als homosexuell oder bisexuell lesbar (nur 24 von 1.329 Figuren). Rund 70 Prozent waren als heterosexuell erkennbar, bei rund 27 Prozent der Protagonistinnen und Protogonisten war die sexuelle Orientierung nicht erkennbar. Zum Vergleich: Laut einer repräsentativen Studie von IPSOS von 2020 ordnen sich rund 11 Prozent der Deutschen als nicht heterosexuell ein.
  • Menschen mit Migrationshintergrund und Schwarze Menschen/People of Colour sind in den TV-Programmen unterrepräsentiert. Während 26 Prozent der Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund haben, kann er in den TV-Programmen nur 11 Prozent der Protagonistinnen und Protogonisten sowie Hauptakteurinnen und -akteure zugeschrieben werden. Schwarze Menschen und People of Colour sind ebenfalls unterrepräsentiert: Während sie schätzungsweise rund 10 Prozent der Bevölkerung stellen, können nur rund 5 Prozent der Protagonistinnen und Protogonisten als Schwarz oder People of Color gelesen werden.
  • Auch Menschen mit Behinderung sind im TV unterrepräsentiert: In der Bevölkerung haben schätzungsweise rund 6 Prozent eine sichtbar schwere Behinderung. In den untersuchten Programmen traf dies jedoch nur auf weniger als 1 Prozent der Protagonistinnen und Protogonisten sowie Hauptakteurinnen und -akteure zu.

Kontakt:
Prof. Dr. Elizabeth Prommer
Universität Rostock
Direktorin des Instituts für Medienforschung an der Philosophischen Fakultät
Tel: +49 381 498-2718 | Sekretariat: +49 381 498-2717
elizabeth.prommeruni-rostockde


Zurück zu allen Meldungen