"Leuchte des Nordens"

Zwischen Universität der Hanse und mecklenburgischer Landesuniversität

Das Otto von Bismarck zugeschriebene, bis heute nicht eindeutig nachgewiesene, aber dennoch immer wieder zitierte Wort von der sich auf mindestens 50 Jahre erstreckenden Zurückgebliebenheit Mecklenburgs lässt sich für die Entstehung der Universität Rostock mit vollem Recht in sein genaues Gegenteil verändern: Denn schon ca. 50 Jahre nach den Gründungen der ersten deutschen Universitäten entstand 1419 in Mecklenburg die alma mater Rostochiensis. Sie war nicht nur eine der ältesten deutschen Universitäten, sondern zugleich die älteste des Ostseeraums und - von den Britischen Inseln abgesehen - ganz Nordeuropas. Urkunden aus dem Umfeld ihrer Gründung - nicht zuletzt das Gründungsprivileg Papst Martins V. - beschrieben als wichtige Aufgabe der Universität die Vertreibung der Finsternis durch das Licht des christlichen Glaubens sowie des Wissens und der Weisheit. 

Das Bild des Lichtes, das die - wie es im 16. Jahrhundert hieß - "mitternächtigen" Länder des Nordens erhellen sollte, begleitete die Universität Rostock auch in ihrer weiteren Geschichte. Der Rostocker Ratsherrensohn und damals hoch geehrte Dichter Peter Linde(n)berg stilisierte dieses Bild kurz vor seinem Tode (1596) im Sinne späthumanistischer Gelehrsamkeit in einem Lobgedicht auf seine Vaterstadt zum Wort vom "lumen Vandaliae", das in seiner umstrittenen deutschen Übersetzung als "Leuchte des Nordens" Berühmtheit erlangt hat. Wie weit oder eng man den dort verwendeten Begriff des Nordens auch immer fassen mag, von Mecklenburg über das Wendenland - in deutlicher Analogie etwa zum wendischen Quartier der Hanse - bis nach Nordeuropa, das Linde(n)berg-Wort würdigte in jedem Fall die damals tatsächlich gegebene Bedeutung der Universität Rostock. Das betraf nicht nur die Pionierrolle der Rostocker Universität in jener enger oder weiter zu fassenden Region Europas, sondern noch mehr ihren Einzugs- und Ausstrahlungsbereich, in dem neben Mecklenburg selbst und seinen norddeutschen Nachbarterritorien mit ihren Hansestädten namentlich die skandinavischen Königreiche einen wichtigen Platz einnahmen. Für die Jahrzehnte vor und nach 1600 ist daher - sicherlich etwas euphorisch - im Nachhinein mitunter gar vom "Goldenen Zeitalter" der Rostocker Universitätsgeschichte die Rede. 

Dabei war die Entwicklung seit 1419 bis dahin zwar in der Gesamttendenz - bezüglich der Frequenz des Universitätsbesuches und ihrer Ausstrahlung - aufsteigend, jedoch mehrfach auch von schweren Krisen begleitet. Sie ergaben sich - neben mehreren Seuchenwellen - hauptsächlich durch die Auseinandersetzungen zwischen den Gründern bzw. Stiftern und Patronen der Universität, den Herzögen von Mecklenburg und der Stadt Rostock. Hinzu kamen Differenzen zwischen der Universität selbst und der Stadt, wobei letztere durch sehr häufig ausbrechende Spannungen zwischen Rat und Bürgerschaft erschüttert wurde. Zweimal verließ die Universität die Stadt sogar: 1437 bis 1443 nach Greifswald - eine der Wurzeln für die Gründung der dortigen Universität 1456 - und von 1487 bis 1488 nach Wismar und Lübeck. Erst als 1563 ein Kompromiss in Gestalt der Formula Concordiae faktisch eine Gleichrangigkeit zwischen Landesherren und Stadt bezüglich des Patronats über die Universität hergestellt werden konnte, begann die bereits genannte Blütezeit. 

Sie endete um die Mitte des 17. Jahrhunderts und mündete in neuerliche Krisen der allmählich zur Landesuniversität werdenden Einrichtung ein, die Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts - in deutlicher Parallele zum "Universitätensterben" in anderen deutschen Territorien - ihre Existenz selbst bedrohten. Ein ganzes Ursachenbündel war hierfür verantwortlich, in dem die verheerenden Auswirkungen der großen europäischen Kriege des 17./18. Jahrhunderts, der Niedergang der Hanse, der große Rostocker Stadtbrand von 1677 und die beginnende Rückschrittlichkeit Mecklenburgs eine besondere Rolle spielten. Überdies flammten die Auseinandersetzungen zwischen Landesherrschaft und Stadt erneut auf, die 1760 bis 1789 in der Existenz einer herzoglichen Gegenuniversität in Bützow kulminierten. 1788 wurde das Kompromisskonstrukt einer zugleich herzoglichen und städtischen Universität nochmals erneuert, bevor dann 1827 die Stadt endgültig ihre Zuständigkeit für die Universität aufgab. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sah dann unter ausgeprägter großherzoglicher Förderung erneut einen Aufschwung der Universität, von der äußerlich das neue Universitätshauptgebäude von 1870 und zahlreiche andere Neubauten (insbesondere Kliniken) und innerlich die Institutionalisierung vieler und neuer Wissenschaftsdisziplinen zeugten. 

Während Rostock, damals eine der kleinsten deutschen Universitäten, aufgrund der traditionell starken Bindung an das mecklenburgische Fürstenhaus, sich politisch eher distanziert gegenüber den Verhältnissen in der Weimarer Republik verhielt, passte sie sich den politischen Rahmenbedingungen in der Zeit des Nationalsozialismus und der SBZ/DDR relativ rasch an. Offener politischer Widerstand blieb die Ausnahme. In materieller und inhaltlicher Hinsicht sind hingegen für beide Zeiträume - ähnlich wie bereits vor und nach 1900 - wiederum etliche Neubauten und die Einrichtung neuer Fakultäten bzw. Institute (insbesondere auf dem Gebiet der Landwirtschafts- und Technikwissenschaften) hervorzuheben. Von 1976 bis 1990 trug die Universität den Namen Wilhelm Piecks. Seit der Wende von 1989 versucht die Universität u. a. durch die Konzentration auf interdisziplinäre Profillinien den notwendigen Modernisierungsschub zu erreichen. Sie ist mit 15.000 Studierenden nach wie vor die größte Universität des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern.

Angela Hartwig, Ernst Münch

erschienen in: Die Universität Rostock. Geschichte der "Leuchte des Nordens" in Bildern. Erfurt: Sutton Verlag 2008, S. 9 f. zur Bestellung beim Verlag