„Wer wissen möchte, wie die Leute auf dem Land gelebt, gewohnt, gearbeitet und gefeiert haben, wie die sozialökonomische Struktur auf dem Dorf war, der erfährt all das auf 800 Seiten“, sagt der gebürtige Parchimer, der auf dem Lande nahe der kleinen Stadt aufgewachsen ist. Im Buch geht es vor allem um die Frage, was sich im Verlauf von 100 Jahren auf dem Land alles verändert hat. „Es ist die erste Gesamtdarstellung des ländlichen Lebens und Arbeitens in Mecklenburg“, sagt Professor Niemann. „Etwas Vergleichbares für andere Regionen in Deutschland gibt es noch nicht“. Das Buch enthält 127 zeitgenössische Fotos aus verschiedenen Archiven, die meisten von ihnen sind jetzt erstmals veröffentlicht worden.
Das Werk, das Agrarkrisen, zwei Weltkriege, die Bodenreform, die Kollektivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft und schließlich den Übergang in die Marktwirtschaft in den neunziger Jahren beleuchtet, ist in einer gut verständlichen Sprache geschrieben. „Ich möchte einen breiten Leserkreis ansprechen“, sagt Professor Niemann. Was er da aufs Papier gebracht hat, entstammt nicht nur dem Wissen aus Büchern und Archiven. Er selbst kommt aus alteingesessenen Großbauernfamilien in Zölkow und Grebbin, deren Geschichte sich bis 1538 zurückverfolgen lässt. Mario Niemann hat eine Lehre als Facharbeiter für Pflanzenproduktion absolviert und er beherrscht auch die plattdeutsche Sprache, was ihm bei der Arbeit an dem Buch sehr zugute kam.
Mario Niemann, der Leiter des Arbeitsbereiches Agrargeschichte ist, hat nach der Lehre an der Universität Rostock Geschichte studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich bereits mit dem ländlichen Raum. Dieses große Interesse ist dem Wissenschaftler geblieben. „Das Buch ist auch ein Geschenk an das Land“, sagt Niemann. Die einzelnen der zwölf Kapitel des Werkes sind unterschiedlich stark. So ist beispielsweise der Text zu den neunziger Jahren rund dreimal so umfangreich wie der zu den Siebzigern. Und das Kapitel über die sieben Jahre von 1945 bis 1952 ist genauso umfangreich wie das zur Weimarer Republik 1918 bis 1932. Der Grund liege neben dem unterschiedlichen Forschungsstand darin, dass politische und wirtschaftliche Entwicklungen nicht gleichmäßig verlaufen seien, sondern in verschiedener Intensität den ländlichen Raum berührt hätten, sagt der Autor.
Niemann schildert sehr nacherlebbar, wie sich beispielsweise die Getreideernte grundlegend gewandelt habe. Während früher das Korn von den Männern mit der Sense gemäht worden sei, hätten die Frauen es zu Garben gebunden und dann zum Trocknen in Hocken aufgestellt. Sobald es trocken war, haben die Männer es auf Leiterwagen aufgestakt, die Frauen packten es. Und dann wurde das Korn auf den Bauernhof gefahren und in der Scheune eingelagert. Im Winter wurden die Körner mit dem Dreschflegel ausgedroschen. Heute erledigt ein Mähdrescher alle diese Arbeiten.
Wie der Wandel der ländlichen Lebens- und Arbeitsverhältnisse im Verlauf des 20. Jahrhunderts verlaufen ist, all das hat Niemann interessant und nacherlebbar erzählt. Text: Wolfgang Thiel
Kontakt:
Professor Mario Niemann
Historisches Institut
Universität Rostock
Tel.: +49 381 498-2734
mario.niemann@uni-rostock.de