„Ich kann nur hier glücklich sein“ – Forscherin untersucht Lebenswelten von Frauen auf dem Lande

Melanie Rühmling hat das Leben von Frauen im mittleren Lebensalter auf dem Dorf unter die wissenschaftliche Lupe genommen. (Foto: Universität/Julia Tetzke).
Melanie Rühmling hat das Leben von Frauen im mittleren Lebensalter auf dem Dorf unter die wissenschaftliche Lupe genommen. (Foto: Universität/Julia Tetzke).

„Diejenigen, die dem Landleben die Treue halten, sind nicht die, die zurückgeblieben sind“, sagt die Wissenschaftlerin, die ihre Doktorarbeit am Institut für Soziologie und Demographie der Universität Rostock geschrieben hat. Gerade für Frauen im mittleren Alter könne das Leben auf dem Dorf auch eine bewusste Entscheidung sein, unterstreicht Melanie Rühmling, Stipendiatin im Projekt „Wohnen in der beschleunigten Moderne? Ambivalenz(en) zwischen Zentrum und Peripherie“ des THEORIA Kurt-von-Fritz-Wissenschaftsprogramms. Es werde viel von abgehängten ländlichen Räumen und resignierten Dorfbewohnerinnen gesprochen, sagt Rühmling. Denn es seien vor allem höherqualifizierte Frauen, die insbesondere berufsbedingt die kleinen Dörfer Mecklenburg-Vorpommerns seit den 1990er Jahren verlassen haben.

Hat das Blatt sich seitdem gewendet? Die Rostocker Sozialwissenschaftlerin sagt dazu: „„Das Leben auf dem Land ist heute eine gleichwertige Alternative zum Leben in der Stadt. Es gibt Frauen, die sich bewusst für das Leben auf dem Dorf entschieden haben, weil nur dort ihr Lebensentwurf realisiert werden kann.“

Die Forscherin konstatiert jedoch: „Die ländlichen Räume und die ländlichen Lebensverhältnisse brauchen mehr Aufmerksamkeit von der Politik. Dort müssen vor allem Begegnungsräume geschaffen werden und zwar unbürokratisch, dauerhaft und hauptamtlich besetzt.“ Schließlich leben die allermeisten Menschen in MV in den ländlichen Räumen und nicht in der Stadt.

Doch was spricht für und was gegen ein Leben auf dem Land? Melanie Rühmling hat nach einer Definition des Bleibens gesucht und herausgefunden, dass dies immer abhängig ist von den bisherigen Erfahrungen im Lebenslauf, den sozialen Beziehungen und den aktuellen Bedürfnissen.

Für ihre Arbeit führte Melanie Rühmling mit 16 Frauen biographische Gespräche, um etwas über die vielen unterschiedlichen, so genannten Bleibenslebensweisen zu erfahren. Alle Frauen, die Melanie Rühmling interviewte, waren berufstätig, oft höher gebildet, viele pendeln täglich bis zu zwei Stunden zu ihrer Arbeitsstelle. Eine 34-Jährige sagt: „Es geht darum, wirkliche Lebensqualität zu haben. Woanders bekomme ich diese nicht. Ich brauche diese Hektik nicht, ich kann nur hier glücklich sein.“

Landleben oder Karriere?

Die Wissenschaftlerin räumt auch mit einem Vorurteil auf. Denn es hieße oft noch: Wenn Frauen sich entscheiden, auf dem Land zu bleiben, entscheiden sie sich gegen die Karriere. „Das stimmt so nicht“, sagt die Forscherin. „Das Pendeln wird nicht mehr nur als Belastung wahrgenommen, sondern ist mittlerweile akzeptierter Bestandteil des Landlebens“.

Melanie Rühmling hat drei Typen von Bleibenslebensweisen herausgefunden. Zum einen seien es die kritisch-positiven Bleiberinnen, die alles daransetzen, im ländlichen Raum zu bleiben. Sich ehrenamtlich zu engagieren und damit im Ort eingebunden zu sein ist ihnen beispielsweise sehr wichtig. Die kritisch-negativen Bleiberinnen hingegen möchten gern gehen, sind aber beispielsweise durch die Familie am Ort gebunden. Und dann gäbe es noch diejenigen, die selbstverständlich bleiben und das Leben auf dem Land nicht hinterfragen.

Aus der Stadt zurück aufs Dorf

Dass junge Leute aus den ländlichen Räumen nach der Schule den Wunsch nach Stadt und Mobilität verspüren, ist nicht ungewöhnlich. Immer mehr junge Landbewohner würden nach ihrer Ausbildung oder dem Studium in der Stadt wieder aufs Dorf zurückkehren. Daher sollten Kommunen neu diskutieren, was zu unternehmen sei, um Jugendliche zu halten und Rückkehrenden einen Start im Dorf zu ermöglichen, rät Melanie Rühmling, die gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Universität Rostock sowie Expertinnen und Experten aus den Bereichen Quartiersmanagement, Gleichstellung und Soziale Arbeit das Rostocker Institut für Sozialforschung und gesellschaftliche Praxis, kurz ROSIS, gegründet hat. Dies beschäftigt sich mit sozialen Ungleichheiten in Mecklenburg-Vorpommern. „Unsere Ergebnisse sollen ohne Zeitverzug in zivilgesellschaftlich und politische Diskurse eingebracht werden, damit die wissenschaftlichen Erkenntnisse der breiten Öffentlichkeit zugänglich sind und so kurzfristig Veränderungen angestoßen werden können.“ Text: Wolfgang Thiel

 

Kontakt:
Melanie Rühmling
Rostocker Institut für Sozialforschung und gesellschaftliche Praxis e.V.
melanie.rühmlingrostocker-institutorg

 

 


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