Nachruf auf Prof. em. Dr. Rolf Meyn

Geboren in Geesthacht direkt hinter dem Elbdeich am 30.12.1935, machte Rolf Meyn sein Abitur 1955 in Hamburg. Bis 1960 studierte er an der Universität Hamburg und an der Temple University, Pennsylvania, die Fächer Anglistik, Amerikanistik, Geographie und Erziehungswissenschaften. Von 1960 bis 1971 war er im Hamburger Schuldienst beschäftigt, dabei zwischen 1968 und 1971 als Schulleiter und Rektor. Parallel zu seiner Vollzeitbeschäftigung als Lehrer arbeitete er an seiner Promotion „American Experience“ im Werk Melvilles. Studien zur modernen amerikanischen Literaturkritik, die er 1968an der Universität Hamburg verteidigte. 1982 erfolgte, ebenfalls an der Universität Hamburg, seine Habilitation mit der Monographie Die „Rote Dekade“. Studien zur Literaturkritik und Romanliteratur der dreißiger Jahre in den USA (1980). Rolf Meyn wechselte von einer Stelle als Oberrat an der Universität Hamburg auf eine Professur und lehrte in der Hansestadt von 1982 bis 1995 Englische Philologie mit Schwerpunkt auf der Sprache und Kultur Nordamerikas. Im Jahr 1995, also im Alter von 60 Jahren, entschied er sich zu einem erneuten Wechsel und nahm die neu eingerichtete Rostocker Professur für Nordamerikanische Literatur und Kultur an, die er bis 2002 innehatte.

Rolf Meyns Seminarangebot war breit gefächert und reichte von der Literatur des Puritanismus zur Literatur der Postmoderne. Als inhaltlicher Schwerpunkt lässt sich ein Interesse an gesellschaftskritischen Texten erkennen: neben der Literatur Melvilles vor allem die Prosa des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts (Naturalismus, Moderne, Harlem Renaissance, Arbeiterliteratur). Inspiriert von der Forschungsentwicklung fand auch zunehmend die Literatur nicht-weißer AutorInnen Eingang in Rolf Meyns Lehre – Native American Literature, African American Literature. Eines seiner letzten Seminare galt dem Naturalisten Frank Norris, eines der kritischsten Begleiter des unregulierten und menschenfeindlichen Laissez-faire-Wirtschaftssystem der Jahrhundertwende. Auch zur kanadischen und walisischen Literatur finden sich Seminare.

Rolf Meyns Buch zur US-amerikanischen Arbeiter- und Protestliteratur der 1930er Jahre (Die Rote Dekade) könnte aus heutiger Sicht kaum relevanter sein. Inspiriert von progressiven US-amerikanischen Literaturkritikern wie Daniel Aaron und Edmund Wilson erschließt die Arbeit ein umfangreiches Korpus sozialkritischer Romane, die sich mit den gesellschaftlichen Verwerfungen des Monopolkapitalismus in der Zeit nach der großen Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 beschäftigen und die Schicksale von ArbeiterInnen, ImmigrantInnen und nichtweißen Menschen in den Blick nehmen (von denen einige noch nicht einmal mit Bürgerrechten ausgestattet waren). Diese Literatur war das kulturelle Ergänzungsprogramm zu Roosevelts New Deal; sie ist die Stimme eines humanistischen und gemeinwohlorientierten Amerikas, die dem politischen System der USA immanent ist, jedoch in Krisenzeiten immer wieder von populistischem Gejohle übertönt wird.

Neben seiner Würdigung der Arbeiterliteratur der 30er Jahre interessierte Rolf Meyn sich auch für die Literatur norddeutscher Schriftsteller des 19. Jahrhunderts und publizierte u.a. zu Johannes Gillhoffs populärem Roman Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer (1917).

Geboren zwei Jahre nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten war Rolf Meyn das Kind einer lebensverachtenden und gnadenlosen Zeit. Seine Liebe zu anderen Menschen und zur Natur zwischen Elbauen und Weltmeeren, seine Aufgehobenheit in seiner Familie, ganz sicher aber auch seine Liebe zur englischsprachigen Literatur, haben ihn vor einer Infektion mit national-provinzialistischem Gedankengut bewahrt. Rolf Meyn war ein äußerst weltoffener und toleranter Mensch, der neben den großen Ideen auch einen Blick für die kleinen und unauffälligen Schönheiten der Natur hatte. Einer der letzten Texte, dem er noch kurz vor seinem Tod lauschte, ist ein Gedicht von Emily Dickinson (c. 1861), das die Hoffnung mit einem kleinen Vogel vergleicht, der bescheiden und unerkannt in unserer Seele sein Lied singt, der allen Stürmen trotzt und unser Herz selbst noch in den kältesten Regionen erwärmt:

“Hope” is the thing with feathers -
That perches in the soul -
And sings the tune without the words -
And never stops - at all -

And sweetest - in the Gale - is heard -
And sore must be the storm -
That could abash the little Bird
That kept so many warm -

I’ve heard it in the chillest land -
And on the strangest Sea -
Yet - never - in Extremity,
It asked a crumb - of me.

Alle, die ihn kannten, erinnern sich an Rolf Meyn als einen sehr empathischen, humorvollen, lebensbejahenden und aufrichtigen Menschen ohne Berührungsängste. Seine Liebe zum Leben und zur Literatur haben viele hier am Rostocker IAA angesteckt. So wird er unseren Mitarbeitenden und Studierenden, die das Glück hatten mit ihm in Berührung zu kommen, in dankbarer Erinnerung bleiben.

Am 1. Januar 2025 starb Rolf Meyn nach längerer und mit großer Geduld ertragener Krankheit, zwei Tage nach seinem 89. Geburtstag. Er hinterlässt seinen Sohn, seine beiden Töchter sowie zahlreiche Enkel und Urenkel – und zahllose ehemalige Studierende, denen er die Schönheit der Literatur nahebrachte. Wir wünschen ihm, dem Jungen von der Waterkant und passionierten Segler, auch im Jenseits immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel!

Prof. Dr. Gesa Mackenthun
Institut für Anglistik und Amerikanistik
Rostock, den 27. Januar 2025


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