Rostocker Forscher legen Studie zur Friedhofskultur in Norddeutschland vor

Professor Thomas Klie hat die aktuelle Studie zur Zukunft der Friedhöfe in Norddeutschland geleitet. (Foto: Universität Rostock/Julia Tetzke).
Professor Thomas Klie hat die aktuelle Studie zur Zukunft der Friedhöfe in Norddeutschland geleitet. (Foto: Universität Rostock/Julia Tetzke).
Kirchlicher Friedhof in Dreveskirchen, Mecklenburg (2020). (Foto: Reinhard Wienecke).
Kirchlicher Friedhof in Dreveskirchen, Mecklenburg (2020). (Foto: Reinhard Wienecke).

Die Gedenk- und Erinnerungskultur sei immer auch eine Art „Frühwarnsystem“ für kulturelle Verschiebungen, unterstreicht Klie. Ein Jahr lang (von September 2019 bis August 2020) wurden exemplarisch ausgewählte Friedhöfe empirisch untersucht und in Kooperation mit den jeweiligen Friedhofsträgern und Gemeinden Entwicklungspotenziale ausgelotet und erprobt. Das Team führte Gespräche, stellte Zahlen zusammen und analysierte Interviews. Ziel war es, innovative Ideen für zukunftsträchtige Friedhöfe zu entwickeln, zu evaluieren und exemplarisch umzusetzen. 

Im Hintergrund standen dabei die schleichenden Veränderungen in der Bestattungs­kultur, die auch und gerade vor traditionellen Friedhöfen nicht Halt machen. „Weil Friedhofspflicht besteht, empfinden es viele als Zwang und suchen Auswege, sprich: sie suchen die letzte Ruhestätte für ihre Lieben im Friedwald oder in der Ostsee, die mit dem Friedhof assoziiert werden“, betont Professor Klie. Das gehe hin bis zu halbillegalen Aktionen, bei denen die Asche der Verstorbenen über einen Umweg anderer Länder an Hinterbliebene privat ausgehändigt werde, betont Professor Klie. „Das fällt den Friedhofsträgern auf die Füße“. 

Immer größere Freiflächen, Attraktivitätsdefizite, Innovationsdruck und daraus folgende Finanzierungsprobleme haben die Rostocker Forscher zu dieser Studie motiviert. Die Zunahme von Urnenbestattungen und die Abnahme von Sargbestattungen schaffen Leerräume. Überhangflächen vergrößern sich und die Anzahl der Marktteilnehmer ist gestiegen. Professor Klie verweist darauf, dass Deutschland das einzige Land in Europa ist, das Bestattungs-und Friedhofszwang hat. „Sowohl Friedhofs- als auch Bestattungspflicht sind bis heute in den Ländergesetzen nahezu wörtlich dem Reichsfeuerbestattungsgesetz von 1934 entnommen“. „Der Friedhof mit seinen Vorschriften ist ein Musterbeispiel für Zwang“, kommentiert der Forscher. Das Allerpersönlichste, was ein Mensch habe, nämlich der Tod, treffe auf eine staatliche Regulierung, die von vielen als starke Reglementierung wahrgenommen wird. Die Spannweite zwischen großen Stadtfriedhöfen mit viel Handlungsspielraum und kleinen Dorffriedhöfen mit nur wenigen Bestattungen im Jahr ist in Norddeutschland sehr groß. Geht es bei dem einen darum, Innovationspotenziale zu entwickeln (Netzpräsenz, kulturelle Veranstaltungen, z.B. „Tag des Friedhofs“, Ausbau zum Biotop bzw. zum Nacherholungsraum), sind bei den anderen durchaus Modelle denkbar, dass Dorfvereine einen Friedhof betreiben und die Kirchengemeinde lediglich hoheitlich die Trägerschaft ausübt. Diesbezüglich gibt es bereits Erfahrungen in Mecklenburg. „Friedhöfe sind als Trauerorte ein wichtiger Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses eines Ortes“, hebt Professor Klie hervor. Denn das Ensemble der Gräber erzähle nicht nur Familiengeschichten, sondern immer auch Stadt- bzw. Dorfgeschichte. So mischen sich auf Friedhöfen Privates und Öffentliches, individuelle Grabstellen und öffentlicher Raum. Einige Friedhöfe (z.B. Dreveskirchen, Kirch Stück) haben gute Erfahrungen damit gemacht, alte Grabsteine nicht einfach abzuräumen, sondern sie als sogenannte Lapidarien in die Friedhofsgestaltung einzubeziehen.

Zugleich bilden Friedhöfe immer noch das Zentrum eines Ortes, vor allem auf den Dörfern, wenn sie in Gestalt alter Kirchhöfe rund um die Kirche angelegt sind. Hier zentrieren sie das Gemeinwesen um die Erinnerung herum und binden es so an letzte Gewissheiten zurück. Die sich dabei unmittelbar anbietende Kooperation mit Dorf- und Geschichtsvereinen ist vielerorts allerdings noch ausbaufähig. Friedhöfe seien zudem außergewöhnliche Kulturlandschaften, sagt Professor Klie. „Grabmale und Stelen, Figuren und Sinnsprüche, Kapellen und Mausoleen sind ein kultureller Ausdruck dafür, wie sich eine Gesellschaft auf den Tod einstellt“. Am Zustand eines Friedhofs zeige sich der Zustand der ihn tragenden Kultur. Das Augenmerk des Forscherteams lag hierbei auch auf der Verbindung von künstlerischen Gestaltungselementen und Bestattungskultur. „Friedhöfe stellen auch naturnahe Biotope dar“, wirft Klie einen anderen Aspekt in die Waagschale. Sträucher und Hecken bilden für eine bunte Flora und Fauna einen ganz besonderen Lebensraum. Manche Friedhofsträger haben erkannt, dass Insekten und Vögel, Nagetiere und Kleinsäuger hier ihre Zuflucht finden (Vogelkästen, Nisthilfen). In Niebüll stehen z.B. Bienenstöcke auf dem Friedhof.

Die 135-seitige Studie liegt in gedruckter Form vor und kann über die Theologische Fakultät Rostock bezogen werden. Finanziert wurde das Projekt durch Mittel der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche, der Stiftung „Kirche mit Anderen“, der „Stiftung Deutsche Bestattungskultur“ sowie von Kirchenkreisen und Gemeinden. Text: Wolfgang Thiel

 

Kontakt:
Professor Thomas Klie
Universität Rostock
Theologische Fakultät
Tel.: +49 381 498-8435
thomas.klie@uni-rostock.de

 


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