Rostocker Wissenschaftler an der Weltspitze der Dystonie-Forschung

Prof. Dr. med. Rüdiger Köhling steht am 27. Juli 2023 im Physiologischen Institut der Universität Rostock vor einem Schaubild der tiefen Hirnstimulation. Der Sonderforschungsbereich 1270 ELAINE der Universität Rostock erforscht unter anderem die Therapie der Erkrankung Dystonie mit Hilfe der Tiefen Hirnstimulation. (Copyright: Universität Rostock SFB 1270 ELAINE).
Prof. Dr. med. Rüdiger Köhling steht am 27. Juli 2023 im Physiologischen Institut der Universität Rostock vor einem Schaubild der tiefen Hirnstimulation. Der Sonderforschungsbereich 1270 ELAINE der Universität Rostock erforscht unter anderem die Therapie der Erkrankung Dystonie mit Hilfe der Tiefen Hirnstimulation. (Copyright: Universität Rostock SFB 1270 ELAINE).
Grafik der Tiefen Hirnstimulation mit feinen Elektroden. (Copyright: Rüdiger Köhling).
Grafik der Tiefen Hirnstimulation mit feinen Elektroden. (Copyright: Rüdiger Köhling).

Schätzungsweise rund 160 000 Menschen sind in Deutschland von der Krankheit Dystonie betroffen. „Sie ist damit nach der Parkinson-Krankheit die zweithäufigste motorische Störung“, sagt der Chef des Physiologischen Instituts der Universität Rostock, Prof. Dr. Rüdiger Köhling. Die Deutsche Dystonie Gesellschaft beschreibt die Erkrankung als eine vom Gehirn ausgehende Fehlfunktion, bei der die Kontrolle von Bewegungen unbeeinflussbar ist.

„Es gibt viele unterschiedliche Erscheinungsformen der Dystonie“, berichtet Köhling. Sie äußere sich etwa in ungewollten Bewegungen, die anfallsartig oder auch dauerhaft wie beim Schiefhals auftreten können. „Vielfach sind die Bewegungen mit starken Schmerzen verbunden, deshalb ziehen sich viele Betroffene aus dem öffentlichen Leben zurück.“

Bekannt ist, dass der Ursprung der Dystonie ebenso wie der der Parkinson-Erkrankung in den sogenannten Basalganglien liegt. Dies sind Kerngebiete unterhalb der Großhirnrinde. Es gebe aber keine Arzneien, mit denen die Krankheit zielgerichtet behandelt werden kann. Eine künftige Therapie könnte deshalb die sogenannte tiefe Hirnstimulation sein. Diese werde beim Patienten bereits erfolgreich eingesetzt. Allerdings gebe es Patienten, die nicht davon profitieren und noch sei über den Mechanismus der Stimulation praktisch nichts bekannt. Daher sei dringend Grundlagenforschung am Tiermodell nötig, doch schon die bisherigen Fortschritte seien bemerkenswert. Köhling sagt, dass der SFB mit seiner Methodik an der Weltspitze stehe.

Der SFB bietet laut Köhling „die unglaubliche Möglichkeit“, unter anderem mit Ingenieuren zusammenzuarbeiten, die Stimulatoren designen und bauen. Er beruft sich dabei auf Prof. Dr. Ing. Dirk Timmermann, den früheren Chef des Instituts für angewandte Mikrostrukturen und Datentechnik an der Universität Rostock. „Er hat es geschafft, dass unsere experimentellen Stimulatoren kleiner, leichter und tragbarer sind als alles bislang Dagewesene.“

„Unsere Stimulatoren zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie mit einer Batterie zehn – bis hundertmal länger als die bisher bekannten Neurostimulatoren laufen“, erklärt Timmermann. Sie erlaubten also erstmals Langzeitexperimente. Außerdem stellten sie Fehler, wie defekte Stimulationselektroden oder sonstige Fehlfunktionen, selbst fest und meldeten diese. „Damit werden Experimente nachvollziehbarer und sicherer“, sagt Timmermann.

Bei der Tiefen Hirnstimulation wird laut Köhling ein bestimmtes Gebiet der Basalganglien, der Globus Pallidus, mit einer feinen Elektrode genau definierten elektrischen Impulsen ausgesetzt. „Die Besserung der Dystonie-Symptome kann länger als die eigentliche Stimulation dauern - mal Stunden, mal Tage.“ Das sei bei Parkinson anders. Ohne Stimulation kämen dort die motorischen Symptome sofort zurück.

„Warum das bei der Dystonie anders funktioniert, wissen wir noch nicht“, sagt Köhling. Doch bei der Stimulation des Globus Pallidus konnte eine Kommunikation der dortigen Nervenzellen mit anderen Hirnregionen festgestellt werden. Das bedeutet: „Wenn der Globus Pallidus stimuliert wird, bekommt man beim Striatum - einer anderen Struktur der Basalganglien – eine Antwort“, erklärt der Physiologe. Es werde also eine funktionelle Veränderung der Kommunikation zwischen Großhirnrinde und Basalganglien beobachtet.

„Es ist offenbar ein Netzwerk-Phänomen. Das könnte eine Erklärung sein, warum es teils Wochen dauert, bis sich der gewünschte Effekt nach den Stimulationen einstellt.“ Die Netzwerkaktivität in den Ganglien sei deshalb einer der Forschungsschwerpunkte.  „ELAINE bietet die einmalige Gelegenheit, eine Ahnung davon zu bekommen, was eigentlich im Netzwerk Hirn bei der Dystonie passiert.“ Die tiefe Hirnstimulation kann auch bei der Behandlung von Depressionen oder auch bei Demenz eingesetzt werden.

Im Sonderforschungsbereich 1270 ELAINE der Universität Rostock arbeitet seit 2017 ein Team aus mehr als 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Fakultäten. Sprecherin des SFB ist die Chefin des Lehrstuhls für Theoretische Elektrotechnik an der Uni Rostock, Prof. Dr. Ursula van Rienen. Die Förderung seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beträgt in der ersten und zweiten Förderperiode rund 24,1 Millionen Euro inklusive der Programmpauschale. Im Jahr 2025 soll die dritte und damit letzte Förderperiode beginnen.

Link zu SFB ELAINE und Dystonie

Kontakt: 
Dr.-Ing. Nadine Rudolph
Universität Rostock
Gesamtkoordinatorin/General Manager SFB 1270 ELAINE
Fakultät für Informatik und Elektrotechnik
Tel.: +49 381 498-7082
E-Mail: nadine.rudolphuni-rostockde

 


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